Zwei „Emigranten“ aus Rommerskirchen
In der „neuen“ Gemeinde Rommerskirchen (sie existiert in ihrer heutigen Form seit dem 1. Januar 1975) lebte Thomas Schmidt gerade einmal knapp fünf Tage. Der Eckumer besuchte die Klasse 7e des Städtischen Gymnasiums Dormagen (heute: Bettina-von-Arnim-Gymnasium), bis er mit seiner Familie am 5. Januar 1975 die wohl weiteste Reise seines Lebens antrat: Per Schiff ging es nach Chile, wohin die Familie Schmidt seinerzeit auswanderte.
Sein einstiger Klassenkamerad Ralph Pesch lebt seit den 1980-er Jahren nicht mehr in der Gemeinde, seit inzwischen mehr als 50 Jahren haben die beiden gleichwohl Kontakt gehalten und gelegentlich, wie etwa im vergangenen Sommer, kehren sie auch nach Rommerskirchen zurück – der mit seiner Frau Claudia in Düsseldorf lebende Ralph Pesch schon mal öfter, der um genau einen Tag Ältere Thomas Schmidt naturgemäß seltener.
Letzterer studierte in Concepcion am Pazifischen Ozean, wo er bis heute lebt, Medizin, spezialisierte sich auf Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und hat eine Professur für dieses Fachgebiet inne.
Ralph Pesch stammt aus Butzheim, wo er u.a. beim einstigen TuS Gilbach Fußball spielte. Sowohl bei der St. Sebastianus-Schützenbruderschaft war er aktiv, wie auch bei der Katholischen Jungen Gemeinde (KJG). Als KJG-Leiter war er Nachfolger von Karin Korte (geb. Becker), die später in Berlin u.a. dem Abgeordnetenhaus angehörte (für die SPD) und von 2018 bis 2024 Bezirksstadträtin für Bildung, Schule, Kultur und Sport war.
Pesch absolvierte eine Lehre als Bankkaufmann bei der damaligen Raiffeisenbank Rommerskirchen, leistete seinen Zivildienst in Freiburg ab und studierte dort Volkswirtschaftslehre und Erwachsenenbildung – ein Jahr lang jedoch auch in St. Catharines bei Toronto in Kanada. Dort lebte er in einer durchaus abwechslungsreichen WG mit einem Asiaten, einem studentischen Aktivisten aus Südkorea und einem Mitglied der damaligen namibischen Befreiungsbewegen SWAPO aus Namibia. Nach dem Examen 1993 in Freiburg war er beruflich unter anderem bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung tätig, später dann in führenden Rollen im Personalmanagement im In-und Ausland, u.a. bei Mannesmann.
Am nachhaltigsten in Erinnerung geblieben sein dürfte ihm nach der Jahrtausendwende seine Tätigkeit als Mitglied des dreiköpfigen EON-Vorstands in Bulgarien. Dort durfte das Trio monatelang Personenschutz „genießen“, eine Erfahrung, die Pesch auch im Nachhinein als „wenig erfreulich, wenn auch interessant“ bewertet.
Später war er bis 2010 drei Jahre lang Geschäftsführer von EON Engineering in Gelsenkirchen, davon zwei Jahre in England, ehe er sich selbstständig machte und RP International gründete, eine Consulting– und Coaching-Agentur mit Sitz in Düsseldorf. Neben seinen ökonomischen Kenntnissen kam ihm dabei auch sein psychologisches Fachwissen zugute: Bereits 1993 nämlich hatte Ralph Pesch sich im Esalen Institute im kalifornischen Big Sur eingehend mit der Gestaltpsychologie vertraut gemacht und im Anschluss eine sechsjährige Ausbildung zum Gestalttherapeuten gemacht.
Was Thomas Schmidt und Ralph Pesch gemein haben, ist die Lust am Reisen. Lateinamerika-Experte ist dabei naturgemäß Schmidt, während Ralph Pesch europaweit unterwegs ist und vorzugsweise in die USA fliegt. In jüngster Zeit spielt dort sein früher in der Jugend und in der 2. Mannschaft von Borussia Mönchengladbach aktiver Sohn Leo seit vergangenem Jahr bei den Rider Broncs der Rider University in Lawrenceville (New Jersey) Fußball. Dessen Schwester Anna lebt und arbeitet in Frankfurt: Sie absolviert ein Duales Studium an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim und ist in dessen praktischem Part für EY tätig.
Bei einem gemeinsamen Besuch der beiden Globetrotter in Rommerskirchen statteten der von seiner Lebensgefährtin Leslie Squella begleitete Thomas Schmidt und Ralph Pesch auch dem Rathaus einen kurzen Besuch ab.
Thomas Schmidts Elternhaus befand sich gleich „nebenan“ am Olfenweg, wie er sich lebhaft erinnert.
Die beiden weitgereisten „Emigranten“ zeigten sich beeindruckt von der Entwicklung, die die Gemeinde nach der Kommunalen Gebietsneugliederung 1975 durchlaufen hat. Thomas Schmidt erinnert sich noch an örtliche „Tante-Emma-Läden“, die es damals gab, während größere Einkäufe noch lange in den Nachbarstädten Dormagen und Grevenbroich getätigt werden mussten.
In Deutschland hält sich Schmidt in der Regel einmal im Jahr auf, nicht zuletzt um seine 91-jährige Mutter zu besuchen. Eine Rückkehr nach Deutschland mag er nicht vollends ausschließen, dass deren Wahrscheinlichkeit geringer ist als sein Verbleib in Chile hat mit „der deutschen Bürokratie“ zu tun, die der Mediziner aus der Perspektive eines nicht im Lande Wohnenden kennengelernt hat.
„Nach Lage der Dinge wäre es schwer, in Deutschland als Arzt zu praktizieren“, erzählt Thomas Schmidt. Deutsche Behörden tun sich nämlich eher schwer mit der Anerkennung wissenschaftlicher Bildungsgrade, die im Ausland erworben wurden. Für Schmidt durchaus grotesk ist die Tatsache, dass er auch in Deutschland problemlos Mitglied einer fachmedizinischen Vereinigung sein kann – und das seit Jahren, bei einer Niederlassung hierzulande jedoch einen intensiven behördlichen Marathon durchlaufen müsste.
Realistischer erscheint demgegenüber, dass er in Chile bleiben wird und sich im Ruhestand der Trüffelzucht widmen könnte. Der Anbau schwarzer Trüffeln etwa findet in Chile in den Tälern zwischen dem Pazifischen Ozean und den Andenkordilleren statt und umfasst dort ein riesiges Gebiet.
Auch Ralph Pesch – dessen Vater Konrad Pesch von 1969 bis 1974 stellvertretender Bürgermeister von Nettesheim-Butzheim war, kann sich nach gut 40 Jahren eine Rückkehr nach Rommerskirchen nur schwer vorstellen: „Kontakte nach Rommerskirchen habe ich jedoch nach wie vor, so zuletzt beim Schützenfest in Nettesheim-Butzheim.“
