Kölsch-Rocker Jürgen Zeltinger mischte Anstel auf
Den – natürlich vollkommen unverdienten – Ruf einer Anarcho-Truppe hatte der Ansteler Jägerzug „De Boschte“ sich in jüngeren Jahren redlich erworben. Dass die Truppe zum Zugführer Peter Kirschbaum nach mittlerweile 48 Jahren das Brauchtum vor Ort nach wie vor mit unkonventionellen Ideen bereichert, stellte sie beim diesjährigen Schützenfest unter Beweis. Für die Zugkönigsfete für Manfred Krüger wagten die „Boschte“ unlängst eine „Ansteler Weltpremiere“ – die restlos gelingen sollte und auch Besucher begeisterte, die dem Schützenwesen von Natur aus eher fern stehen.
Erstmals überhaupt in seiner Laufbahn gastierte Kölsch- und Punkrock-Legende Jürgen Zeltinger in Anstel. Gemeinsam mit Gitarren-Virtuose Dennis Kleinmann aus seiner Band gastierte „De Plaat“ im auch als „Irmes Jaade“ bekannten Garten von Peter und Ellen Kirschbaum. Der grenzt sinnigerweise unmittelbar an die Trattoria-Pizza „Capri“, in deren Gebäude sich einst die Gaststätte „Am Dreieck“ befand, wo sich bis Mitte der 1970-er Jahre die bei den damaligen Jugendlichen mit Abstand beliebteste, bei vielen Eltern berüchtigtste Discothek der ganzen Region befand.
Inzwischen 76 Jahre alt und gesundheitlich gebeutelt, zeigte sich Zeltinger – längst bekennender Weintrinker – im Gespräch eher als zurückhaltender älterer Herr.
Was sich indes schlagartig änderte, als das am Ende gut zweistündige Garten-Konzert seinen Lauf nahm. Auch wenn er heutzutage nicht mehr im Tigerfell-Kostüm über die Bühne fegt, die Stimme ist vollends intakt, und so blühte Jürgen Zeltinger regelrecht auf, als es darum ging, seine längst zu Klassikern gewordenen Hits zu präsentieren – und zwischendurch auch über deren Hintergründe zu paludern: „Mallorca, Sommer, Sonne Herzinfarkt“ etwa entstand nach einem gründlich schief gelaufenen Besuch der Insel: Eigentlich sollte es dort ins Tonstudio gehen, wo Jürgen Zeltinger und seine Band es jedoch gerade mal auf ein einziges Lied brachten, weil zuvor irgendwie der Alkohol dazwischen gekommen war und er selbst drei Tage lang die Intensivstation nicht verlassen konnte.
In Anstel ließen Zeltinger und Kleimann nicht nur die „Dauerwellen“ wieder aufleben, nachdem De Plaat mit den „Kölsche Junge“ das Konzert ebenso kämpferisch wie für zartere Gemüter irritierend eröffnet hatte. Den krönenden Abschluss bildete die Hymne auf das von manchen Fans des 1.FC Köln früher bekanntlich gern „schwarz mit der KVB“ angesteuerte „Müngersdorfer Stadion“ – beileibe nicht die einzige Nummer, bei der das zeitweise weit mehr als 100-köpfige Publikum textsicher mitskandieren konnte. Eingeleitet wurde die Hymne, wie es sich gehört, durch das kerndeutsche „Mein Vater war ein Wandersmann.“
Arrangiert hatte den Auftritt von Zeltinger und Kleimann Jochen Oberlack, Chef des Tonstudios Bellerophon, Rockexperte und last but not least Gründungsmitglied der „Boschte“. Oberlack kann sich noch bestens an sein erstes Konzert von Jürgen Zeltinger erinnern, das im Februar 1980 im Grevenbroicher Erasmus-Gymnasium stattfand. „Der Laden ist ausverkauft, die Bühne ein Hexenkessel. Die NGZ entsetzt und das Publikum entfesselt“, beschreibt er die Wirkung die Zeltinger damals – nicht nur – im ländlichen Raum hatte.
„Sein Äußeres, eine Kreuzung aus Preisboxer und Ecklokal-Kellner, widerspiegelt die Star-Ästhetik nicht so richtig“, hieß es damals in der Neuß-Grevenbroicher Zeitung, die angesichts des als „Asi mit Niwoh“ auftrumpfenden Shooting-Stars der Kölner Musikszene erkennbar fremdelte.
„In der Aula tanzten die Puppen – oder treffender: Die Zeltinger-Band ließ die Sau raus. In den Tagen von Grevenbroich begann eine Karriere, die Rock, Punk und Kölsch miteinander versöhnte“, zeichnet Oberlack ein auch nach mehr als 45 Jahren nicht verblassendes Stimmungsbild.
Seither hat er selbst etliche Zeltinger-Konzerte besucht, dies auch mit den Zugkumpanen der „Boschte“: Gleichfalls in die NGZ geschafft haben die es vor gut 15 Jahren anlässlich eines Zeltinger-Aufritts bei Polo in Jüchen. Ganz weit vorn im Publikum und mit lauten Anfeuerungsrufen für Zeltinger nicht geizend, fingen sie sich einen für ihn nicht völlig untypischen „Ordnungsruf“ ein und wurden mit der Aufforderung „Nun haltet endlich mal die Fresse da vorne“ zu disziplinierterem Zuhören ermuntert. Ein Zeltinger-Zitat, das sich gleichfalls in der Lokalausgabe der Rheinischen Post wiederfinden sollte –unkommentiert, versteht sich.
Demnächst wieder in der näheren Umgebung auftreten wird Jürgen Zeltinger – dann mit seiner kompletten, ihr 47-jähriges Bestehen feiernden, Band – am 21. März 2026 in der Neusser Jugendeinrichtung „Das Haus“ (bis 2021 als „Haus der Jugend“ bekannt).
Dass dann auch eine Abordnung des Jägerzugs „De Boschte“ sich das Spektakel nicht entgehen lassen wird, kann bereits heute als sicher gelten.
